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Graue Tränen

(Eine Parabel von Ingo Wölbern, verfasst am 12.10.1988)




Wäre ich eine Kugel, hätte Pulver unter mir, wäre gegossen, um einmal nur zu erblühen, wäre ich grau. Ich wäre still, gefasst, hätte lange Ruhe. Hätte es nicht nötig, Gedanken zu formen, könnte es mir egal sein lassen, wohin ich flöge, auf meinem ersten, meinem letzten Flug. Würde schon irgendwo treffen: ein Schulterblatt irgendeines Zwölfenders, eine Taube, irgendwo auf dem Dach, wie die schwarze Zehn das Herz des Feindes drüben, oder würde doch einfach nur gen Himmel fliegen, einen Baum streifend und endgültig im Gras versinkend. Würde mich verändert haben dann: Plattgedrückt und formlos, immer noch grau mit einem Schimmer von rot, würde verlassen sein dann, für ewig vergessen. Würde die Träne vergießen, die ich dann wohl wäre, während rostend ich auf das Ende wartete. Würde wohl ewig dort liegen und den Boden versauen, könnte nie mehr nütze sein - wäre ich eine Kugel!

Aber ich bin es nicht! Ich bin vielmehr der, der sie trägt, wie sie wohl wisse, sie ihrem Ziel entgegen schickt, der sich darum sorgen muss, das nötig hat.
Ich werde sie abfliegen sehen und vergieße sodann die Träne, die sie dann wohl sein wird. Und sind also tatsächlich vereint dann, und grau!